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Wednesday, August 31, 2011

Deutscher Presserat billigt Vandalismus in Wikipedia

In einer Stellungnahme zur Beschwerde über den Artikel „Wie ich Stalins Badezimmer erschuf“ (siehe Schmutzige Wäsche in „Stalins Badezimmer“) wies der Deutsche Presserat diese u.a. mit der Begründung ab, der Journalist habe „ein zulässiges Experiment zur Überprüfung der Fälschungssicherheit aber auch der Zuverlässigkeit der Informationen von Wikipedia vorgenommen.“ Aufschlußreich ist auch der Hinweis, man sähe keine Verletzung der Achtung vor der Wahrheit darin, „dass der Journalist in die Wikipedia einen falschen Hinweis hineingeschrieben hat.“

Dies steht in deutlichem Widerspruch zur Auffassung der Autorengemeinschaft der Online-Enzyklopädie, die eine „vorsätzliche und bewusste Beschädigung von Inhalten der Wikipedia“ als Vandalismus ansieht (Wikipedia:Vandalismus).

Da der Deutsche Presserat diese Stellungnahme bisher nicht veröffentlicht hat, sind im folgenden die Stellungnahme und die Beschwerde vollständig wiedergegeben.



Meinungen


Deutscher Presserat
Fritschestr. 27/28
10585 Berlin

Unser Zeichen
Datum
Wy/sw
0203/11/2

02.05.2011

Ihre Beschwerde vom 28.03.2011
./. Berliner Zeitung Online

Sehr geehrter Herr Dr. Tunsch,

wir kommen zurück auf Ihre o. g. Eingabe. Sie beschweren sich über den Beitrag unter der Überschrift „Wie ich Stalins Badezimmer erschuf“ in der BERLINER ZEITUNG vom 24.03 2011. Gleichzeitig bitten Sie um Prüfung, ob dieser Beitrag gegen die Publizistischen Grundsätze des Deutschen Presserats verstößt.
Ihre Beschwerde ist im Vorverfahren gemäß § 5 der Beschwerdeordnung geprüft worden. Danach kam der Deutsche Presserat zu der Auffassung, dass ein Verstoß gegen den Pressekodex nicht vorliegt. Die Gründe hierfür möchte ich Ihnen im Nachfolgenden näher erläutern.

In dem Beitrag berichtet der Autor darüber, wie sich eine von ihm in der Wikipedia vorgenommene – falsche – Eintragung über diverse Internetseiten bis in die Printmedien verbreitet hat. Gleichzeitig informiert er, dass die Aussage, als sie von ihm korrigiert werden sollte, von einem ehrenamtlichen Wikipedia-Mitarbeiter wieder online gestellt wurde. Grundlage unserer Prüfung waren in diesem Zusammenhang die Präambel* sowie die Ziffer 1** des Pressekodex.

Sie sahen in der von dem Journalisten gewählten und in dem Artikel geschilderten Vorgehensweise eine Verletzung der Achtung vor der Wahrheit. Zudem sei die Formulierung „Prüfung“ im Hinblick auf die Tätigkeit ehrenamtlicher Wikipedia-Mitarbeiter falsch. Sie würden nur sichten.

Im Rahmen der Prüfung Ihrer Beschwerde gelangten wir zu dem Schluss, dass eine Verletzung presseethischer Grundsätze in dem Vorgehen des Journalisten bzw. der Berichterstattung nicht vorliegt. Eine Verletzung der Achtung vor der Wahrheit sahen wir nicht in der Tatsache, dass der Journalist in die Wikipedia einen falschen Hinweis hineingeschrieben hat. Vielmehr erkannten wir in dieser Vorgehensweise die zulässige journalistische Intention, aufzuzeigen, wie unreflektiert und ungeprüft Wikipedia-Einträge von Dritten übernommen und als Tatsache veröffentlicht werden. Insofern hat der Journalist ein zulässiges Experiment zur Überprüfung der Fälschungssicherheit aber auch der Zuverlässigkeit der Informationen von Wikipedia vorgenommen. Eine solche Vorgehensweise und ihr Resultat sind nach unserer Auffassung von öffentlichem Interesse. Das Ergebnis zeigt auf, dass die User vorsichtig mit den Inhalten von Wikipedia umgehen und sie über andere Quellen verifizieren sollten. Die Vorgehensweise des Redakteurs kollidiert auch nicht mit den Recherchegrundsätzen nach Ziffer 4*** des Pressekodex, da mit der von ihm gewählten Methode Informationen von öffentlichem Interesse beschafft wurden, die auf andere Weise nicht zu erhalten waren.

Auch eine Verletzung der in Ziffer 2**** des Pressekodex definierten journalistischen Sorgfaltspflicht vermochten wir in der Veröffentlichung nicht zu erkennen. Bei der von Ihnen kritisierten Formulierung „Prüfung“ handelt es sich nach unserer Auffassung um eine zulässige Beschreibung der Tätigkeit der ehrenamtlichen Wikipedia-Mitarbeiter. Dies wird auch klar durch den Hinweis, dass auf Plausibilität und nicht auf Wahrheitsgehalt geprüft wird. Die Darstellung ist daher akzeptabel.

Insgesamt konnten wir eine Verletzung publizistischer Grundsätze daher nicht feststellen. Ihre Beschwerde war somit unbegründet.

Mit freundlichen Grüßen
gez. Arno H. Weyand
Referent Beschwerdeausschuss

* Präambel
Die im Grundgesetz der Bundesrepublik verbürgte Pressefreiheit schließt die Unabhängigkeit und Freiheit der Information, der Meinungsäußerung und der Kritik ein. Verleger, Herausgeber und Journalisten müssen sich bei ihrer Arbeit der Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit und ihrer Verpflichtung für das Ansehen der Presse bewusst sein. Sie nehmen ihre publizistische Aufgabe fair, nach bestem Wissen und Gewissen, unbeeinflusst von persönlichen Interessen und sachfremden Beweggründen wahr. Die publizistischen Grundsätze konkretisieren die Berufsethik der Presse. Sie umfasst die Pflicht, im Rahmen der Verfassung und der verfassungskonformen Gesetze das Ansehen der Presse zu wahren und für die Freiheit der Presse einzustehen. Die Regelungen zum Redaktionsdatenschutz gelten für die Presse, soweit sie personenbezogene Daten zu journalistisch-redaktionellen Zwecken erhebt, verarbeitet oder nutzt. Von der Recherche über Redaktion, Veröffentlichung, Dokumentation bis hin zur Archivierung dieser Daten achtet die Presse das Privatleben, die Intimsphäre und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Menschen. Die Berufsethik räumt jedem das Recht ein, sich über die Presse zu beschweren. Beschwerden sind begründet, wenn die Berufsethik verletzt wird. Diese Präambel ist Bestandteil der ethischen Normen.
** Ziffer 2 – Sorgfalt
Recherche ist unverzichtbares Instrument journalistischer Sorgfalt. Zur Veröffentlichung bestimmte Informationen in Wort, Bild und Grafik sind mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und wahrheitsgetreu wiederzugeben. Ihr Sinn darf durch Bearbeitung, Überschrift oder Bildbeschriftung weder entstellt noch verfälscht werden. Unbestätigte Meldungen, Gerüchte und Vermutungen sind als solche erkennbar zu machen.
Symbolfotos müssen als solche kenntlich sein oder erkennbar gemacht werden.
*** Ziffer 4 – Grenzen der Recherche
Bei der Beschaffung von personenbezogenen Daten, Nachrichten, Informationsmaterial und Bildern dürfen keine unlauteren Methoden angewandt werden.


Beschwerde vom 28.03.2011 (online)
ArtikelWie ich Stalins Badezimmer erschuf
AusgabeBerliner Zeitung
Internetseitehttp://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2011/0324/medien/0012/index.html
Datum der Veröffentlichung24.03.2011
BegründungDer Journalist schildert, wie er eine Falschinformation in einem Wikipedia-Artikel untergebracht hatte. Anhand der Versionsgeschichte des Artikels ist erkennbar, daß er dies unter dem Schutz der Anonymität tat (http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Karl-Marx-Allee&action=historysubmit&diff=56754304&oldid=56372299). Die Fälschung, über die er dann im Artikel vom 24.03.2011 berichtete, war also zunächst von ihm selbst veröffentlicht worden. Ob sich dies mit der "Achtung vor der Wahrheit" vereinbaren läßt, erscheint mir zweifelhaft. Die vom Autor selbst anonym veröffentlichte Unwahrheit wird im Artikel vom 24.03.2011 dazu genutzt, um anderen Medien vorzuwerfen, sie hätten den Wikipedia-Artikel nicht als Quelle angegeben. Ich bitte darum zu prüfen, ob dies mit dem Grundsatz der Wahrhaftigkeit vereinbar ist.

Die Recherche kann meines Erachtens nicht als sorgfältig bezeichnet werden. Der Autor schreibt: "Eine Schar ehrenamtlicher Mitarbeiter prüft die Einträge der Nutzer vor Veröffentlichung auf Plausibilität." Tatsächlich handelt es sich nicht um eine "Prüfung" sondern um eine "Sichtung". Der Unterschied wird auf der öffentlich zugänglichen Seite "Wikipedia:Gesichtete Versionen" (http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Gesichtete_Versionen) erläutert.

Nach eigener Auskunft ist "Ziel der Wikipedia ... der Aufbau einer Universalenzyklopädie durch freiwillige und ehrenamtliche Autoren" (http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:%C3%9Cber_Wikipedia). Diese Autoren handeln in allen wesentlichen Teilen des Projekts öffentlich und alle diese Informationen sind öffentlich und frei zugänglich. Ich bitte zu prüfen, ob die anonyme Verfälschung von Ergebnissen dieser ehrenamtlichen Tätigkeit und die anschließende Berichterstattung darüber als faire Wahrnehmung publizistischer Aufgaben (vgl. Präambel des Pressekodex) gesehen werden kann.
Ziffer(n) des KodexZiffer1, Ziffer2

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