Friday, January 20, 2012
Wie modern ist eine „Türckische Cammer“?
(Leicht gekürzte Erstveröffentlichung in: Dresdener Kunstblätter. München: Deutscher Kunstverlag, ISSN 0418-0615, Bd. 55.2011, 4, S. 174-279)
Als im Frühjahr 2010 die „Türckische Cammer“ glanzvoll der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, hatte der Autor die Gelegenheit zu einer Vorbesichtigung, an der Museumskolleginnen und -kollegen aus dem In- und Ausland teilnahmen. Dabei kam es zu einem kurzen Meinungsaustausch mit einem weltweit angesehenen, ehemals leitenden Museumswissenschaftler aus Berlin, der sein Unverständnis für die seiner Ansicht nach überholte Form der Ausstellung deutlich zum Ausdruck brachte. Für einen Moment hätte hier das Wortspiel von Sachsens Glanz und Preußens Gloria aufblitzen können, denn während Dresden im ehemaligen Residenzschloß die Wiedereinrichtung einer historischen Sammlung feiern durfte, waren in Berlin die staatlichen Museen preußischen Kulturbesitzes Anfang der neunziger Jahre zunächst mit drei Standorten inhaltlich neu gruppiert worden: die archäologischen Museen auf der Museumsinsel, Museen europäischer Kunst auf dem Kulturforum im Tiergarten und die Museen außereuropäischer Kunst in Dahlem. Wenn in den folgenden Jahren auch historische Gebäude wie die Alte Nationalgalerie, das Bode-Museum oder das Neue Museum in unterschiedlicher Art und Weise wiederhergestellt wurden, so zeigen die öffentlichen Auseinandersetzungen um denkmalpflegerische Aspekte doch sehr deutlich, daß dabei in Berlin viele neue Wege beschritten werden.
Die thematisch mit der Türckischen Cammer am engsten verwandte Sammlung islamischer Kunst im Berliner Pergamonmuseum wird im Rahmen der Generalsanierung dieses Hauses ihren angestammten Platz in der Nachbarschaft des Vorderasiatischen Museums verlassen und im nördlichen Flügel zukünftig zwei Geschosse einnehmen. Das traditionelle Konzept von Walter Andrae, die Entwicklung des vorderasiatisch-iranischen Raumes von den Anfängen bis in die islamische Zeit zu zeigen, gibt man für die umfassendere Darstellung der Kulturen Ägyptens, Vorderasiens, der klassischen Antike Griechenland und Roms sowie der islamischen Kunst- und Kulturgeschichte im neugestalteten Pergamonmuseum auf. Das Humboldt-Forum an der Stätte des ehemaligen Berliner Stadtschlosses wird diesen Museumskomplex vervollständigen, so daß gemeinsam mit der in enger Nachbarschaft befindlichen Museumsinsel eine Art Universalmuseum der Kulturgeschichte erwartet werden darf.
Doch ist diese Gegenüberstellung sinnvoll? Lassen sich hier wirklich historisierender Rückgriff auf der sächsischen Seite und globalisierende Modernität in der nachpreußischen Sphäre identifizieren?
Obwohl das Sammeln und Aufbewahren von Dingen, die nicht zum täglich Lebensnotwendigen zählen, auch in früheren Epochen nachgewiesen werden kann, darf man wohl behaupten, daß Museen in ihrer heutigen Gestalt eine Erscheinung der Neuzeit sind. Fürstliche Sammlungen wie die der Kurfürsten und Könige Sachsens gehören zu den Keimzellen der großen staatlichen Museen Europas. Aus moderner Sicht unterscheiden sich diese Landesherren deutlich vom Typus des bürgerlichen Privatsammlers, da ihre Sammlungen immer schon eine gewisse Öffentlichkeit besaßen. Die Verwendung der Waffen und Kostüme aus der Türckischen Cammer für Aufzüge, Feste, Turniere oder Opernaufführungen1 legen hiervon beredtes Zeugnis ab. Mag die absolutistische Staatsauffassung heute dem Selbstverständnis der europäischen Demokratien widersprechen, so scheint sie doch ideelle Quelle der Finanzierung wichtiger kultureller Grundbedürfnisse aus öffentlichen Haushalten zu sein. Der Blick über den Atlantik auf die Vereinigten Staaten von Amerika ist geeignet, dies zu bestätigen. Im Gegensatz zum alten Europa wurde und wird in der Neuen Welt davon ausgegangen, daß die Finanzierung von Kunst und Kultur eben keine Staatsaufgabe sei, sondern überwiegend aus privaten Quellen zu leisten ist. Diese unterschiedlichen Auffassungen sollten allerdings nicht zu voreiligen Schlüssen verführen, jeweils das eine oder das andere Finanzierungssystem als das bessere anzusehen. Während private Stiftungen in Zeiten wirtschaftlicher Prosperität weitaus mehr Mittel für spektakuläre Ausstellungen und Ankäufe mobilisieren können, sichert die langfristige Finanzierung aus öffentlichen Quellen die Erhaltung großer Bestände an Sammlungsobjekten und ihre Erforschung.
Doch auch in Europa sind es nicht die öffentlichen Museen allein, die zur Erhaltung von Kulturgut beitragen. Die manchmal abenteuerlichen Entstehungsgeschichten von Sammlungen des 19. Jahrhunderts, die böswillige Zungen knapp als „Stehlen, Sammeln, Stiften“ zusammenfassen könnten, haben den Ruf der Privatsammler zwar manchmal beeinträchtigt. Die herausragenden Beispiele von Sammlerpersönlichkeiten, deren Lebenswerk früher oder später ebenfalls in den Dienst der Öffentlichkeit gestellt wurde, lassen dagegen erkennen, daß eine fruchtbare Zusammenarbeit möglich ist. Vor allem Intention und Methode unterscheiden den privaten Sammler von einem öffentlichen Museum. Unabhängigkeit in der Auswahl der einzelnen Objekte und der Konzeption der Sammlung lassen soziale und kulturelle Rahmenbedingungen durch die Person des Sammlers anders zur Geltung kommen, als dies bei den Organisationsstrukturen eines Museums der Fall ist.
Die Kustoden finden am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn bereits eine Museumssammlung vor, mit der sie in den folgenden Jahren gewissermaßen einen Dialog führen werden. Genauer betrachtet setzen sie sich mit ihren Vorgängerinnen und Vorgängern auseinander, die ihre Spuren in der Sammlung und ihrer Dokumentation hinterlassen haben. Dies unterscheidet die Forschung an Museen auch von der wissenschaftlichen Tätigkeit an Universitäten und anderen Forschungseinrichtungen. Während dort Forschung und Lehre eher abstrakteren Vorgaben, persönlichen Interessen oder dem Rhythmus auszubildender Studentengenerationen folgen, sieht sich der Wissenschaftler an einem Museum immer auch mit den konkreten Gegenständen seiner Forschung und ihrer Geschichte konfrontiert.
Dagegen widmen sich private Sammler meist dem Aufbau einer völlig neuen Kollektion, die keine anderen Voraussetzungen als seine eigenen Vorstellungen, Wünsche und finanziellen Möglichkeiten selbst hat.2 Viele Privatsammlungen lassen sich daher als Spiegelbild der Sammlerpersönlichkeit lesen und erlauben Rückschlüsse auf die Beziehungen zu seiner sozialen und kulturellen Umwelt.
In diesem Sinne ist die Türckische Cammer auf doppelte Weise reizvoll. Obwohl sie als Fürstensammlung von Beginn an einen gewissen staatlichen, also auch öffentlichen Charakter hatte, spiegeln sich in ihr die Intentionen und Möglichkeiten der verschiedenen Herrscherpersönlichkeiten ebenso wie ihre Grenzen. Gleichzeitig läßt sich mit ihrem Wachsen verfolgen, wie die bereits bestehenden Sammlungen genutzt und erweitert wurden. Die Türkenmode des 18. Jahrhunderts wird in diesem Zusammenhang als kulturelles Phänomen erfaßbar und kann Besuchern der Ausstellung wie Lesern des Katalogs3 eindrucksvoll vermittelt werden.
Untrennbar mit dem Sammeln der Objekte verbunden ist das möglichst umfassende Bewahren ihrer vielfältigen historischen Bezüge, denn erst die Vielfalt der kulturellen, politischen und sozialen Zusammenhänge ermöglicht die Beantwortung spezifischer Fragen aus heutiger Sicht. Internationale Projekte wie die Rekonstruktion der Sammlung Giustiniani4 zeigen die Aktualität und die Wichtigkeit dieses Anliegens ebenso wie die Anstrengungen zur Erhaltung historischer Sammlungen in ihrer Gesamtheit. Die Bedeutung von Domschatzkammern, der Weltlichen Schatzkammer in der Wiener Hofburg oder der Sammlungen des Vatikan – um nur einige Beispiele zu nennen – ergibt sich in besonderer Weise eben auch aus der Einbindung in die lange Geschichte ihrer institutionellen Träger.
Wenn auch für die besonders prachtvollen Stücke der Türckischen Cammer häufig die ästhetische Betrachtung im Vordergrund stehen mag, wird der kulturhistorische Wert demgegenüber nicht vernachlässigt. Gerade die Einbindung der Sammlung in das historische Residenzschloß verdeutlicht die enge politische und soziale Bindung an Hof und Armee und erweitert damit die kulturelle und geschichtliche Perspektive. Die Fülle der dadurch zur Verfügung stehenden Informationen gewinnt gerade in jüngster Zeit erneut an Bedeutung, denn mit den Möglichkeiten der weltweiten Vernetzung läßt sich der Kontext jedes Sammlungsobjekts auf neue Weise beschreiben und darstellen.5
Im Unterschied zur ursprünglichen Türckischen Cammer der sächsischen Kurfürsten und Könige gehören heute Forschen und Dokumentieren zu den unerläßlichen Grundlagen der musealen Sphäre. Der Charakter einer ständigen Ausstellung ist häufig verknüpft mit der landläufigen Vorstellung von einer Unveränderlichkeit, die der kontinuierlichen Bearbeitung der Bestände und dem daraus erwachsenden Erkenntnisgewinn nicht gerecht wird. So konnte die Forschungsarbeit zur Wiedereinrichtung der Türckischen Cammer zwar auf den seit 1595 beziehungsweise 1606 geführten Inventaren6 und Ergebnissen der Archivforschung ebenso aufbauen wie auf den Publikationen zur Kunst- und Kulturgeschichte, doch ist damit keineswegs ein abschließender Zustand erreicht. Gerade die islamische Kunstgeschichte hat im Vergleich zu anderen kunsthistorischen Disziplinen eine kürzere Geschichte, deren Beginn oft mit der Münchener Ausstellung „Meisterwerke muhammedanischer Kunst“ 1910 in Beziehung gesetzt wird. Dies bringt eine größere Dynamik und Flexibilität in der Auswahl der Forschungsinhalte und der methodischen Ansätze mit sich, die auch die Berührungen mit anderen geisteswissenschaftlichen Fächern beeinflußt. Hinzu kommt die Entwicklung moderner naturwissenschaftlicher Analyseverfahren, die neue Untersuchungen der Sammlungsobjekte ermöglichen. Selbst politische Veränderungen können sich auf die Forschungen auswirken, die mit der Türckischen Cammer verbunden sind. Es darf erwartet werden, daß die weitere Gestaltung von Wissenschaftsbeziehungen in der Europäischen Union Untersuchungen zu den historischen Zusammenhängen der sächsischen und der polnischen Geschichte ebenso befördern wird wie solche zu den Beziehungen zwischen Mitteleuropa und dem Orient. Auch für die Zugänglichkeit der Forschungsergebnisse ergeben sich in naher Zukunft durch Projekte wie die Europeana7 neue Perspektiven, so daß es nicht nur den Besuchern der Türckischen Cammer möglich sein wird, sich über die in der Ausstellung vermittelten geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge zu informieren.
Um die anfangs gestellte Frage nach der Modernität der Ausstellung und der Vermittlung zu beantworten, müssen wir nach Dresden zurückkehren, wo die Türckische Cammer in der historischen Umgebung des Residenzschlosses nach Zerstörung und Wiederaufbau nicht nur als Rückkehr zu einem früheren Zustand verstanden werden sollte. Nach der Definition des „Übereinkommens zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes“ der UNESCO von 20038 ist das Konzept einer Sammlung zwar strenggenommen kein immaterielles Kulturerbe, doch die historisch gewachsene Idee der Türckischen Cammer von der Fürstensammlung zur Forschungsstätte ist zweifellos bewahrenswert und wird sich weiter entwickeln. Vielleicht kann sie mit ihrer bloßen Existenz schon dazu beitragen, daß man sich in aktuellen Diskussionen an die Vielfalt der kulturellen Beziehungen im Laufe der Geschichte erinnert. Wie schwierig dies manchmal ist, zeigt zum Beispiel eine Diskussion zum Begriff der „Türkengefahr“,9 bei der völlig außer acht gelassen wurde, daß es sich zeitweise auch um einen terminus technicus des Versicherungswesens handelte,10 mit dem jahrhundertelange kriegerische Nachbarschaft ihre Spuren hinterlassen hatte.
Die neue Konzeption für die Ausstellung des Museums für Islamische Kunst in Berlin, nach der neben einer vereinfachten chronologischen Ordnung geographische Bezüge, Verknüpfungen zu verschiedenen Lebensräumen und thematische Schwerpunkte als zusätzliche Orientierungsebenen dienen werden,11 folgt in der Darstellung von kulturgeschichtlichen Zusammenhängen einem durchaus ähnlichen Prinzip, denn auch hier wird die traditionelle kunstgeschichtliche Präsentation wesentlich erweitert. Die Modernität beider Ausstellungskonzepte ist auch darin zu sehen, daß sie Fragen an die Geschichte aus unterschiedlichen Perspektiven aufgreifen, die in jeder Generation immer wieder von neuem gestellt werden und damit Geschehenes, die Geschichten darüber und das gelebte kulturelle Erbe zueinander in Beziehung setzen.12
Anmerkungen
1 Schuckelt, Holger: Die Türckische Cammer: Sammlung orientalischer Kunst in der kurfürstlich-sächsischen Rüstkammer Dresden. Dresden 2010, S. 228, 325
2 vgl. Tunsch, Thomas: Der Sammler Herbert M. Gutmann (1879 1942). In: Islamische Kunst in Berliner Sammlungen: 100 Jahre Museum für Islamische Kunst in Berlin / Hrsg. von Jens Kröger unter Mitarbeit von Désirée Heiden, Berlin 2004, S. 27-30
3 Schuckelt, Holger: Die Türckische Cammer: Sammlung orientalischer Kunst in der kurfürstlich-sächsischen Rüstkammer Dresden. Dresden 2010
4 Projekt GIOVE (The Giustiniani Collection in a virtual environment, URL: http://web.fu-berlin.de/giove, abgerufen: 20.01.2012); einen guten Überblick für interessierte Leser bietet auch der Wikipedia-Artikel „Sammlung Giustiniani“. Seite „Sammlung Giustiniani“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 31. August 2011, 13:58 UTC. URL: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Sammlung_Giustiniani&oldid=93096098 (abgerufen: 31. August 2011)
5 vgl. Buckland, Michael: Geography, Time, and the Representation of Cultural Change: Experience from a Large Collaboration: The Electronic Cultural Atlas Initiative. In: Wissen durch Vernetzung – Kulturgutdigitalisierung in Deutschland und Europa Tagungsband – Berlin 2007 / Knowledge by Networking – Digitising Culture in Germany and Europe Conference Proceedings – Berlin 2007, Mitteilungen und Berichte aus dem Institut für Museumsforschung; 46, Berlin: Inst. f. Museumsforschung, Staatl. Museen zu Berlin, 2008, S. 109-114, abgerufen von http://www.smb.museum/ifm/dokumente/mitteilungen/MIT046.pdf, S. 110
6 Schuckelt, Holger: Die Türckische Cammer: Sammlung orientalischer Kunst in der kurfürstlich-sächsischen Rüstkammer Dresden. Dresden 2010, S. 11f.
7 Portal für das europäische Kulturerbe (URL: http://www.europeana.eu/, abgerufen: 20.01.2012)
8 „Konvention zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes - Deutsche UNESCO-Kommission.“ 2003, URL: http://www.unesco.de/ike-konvention.html (abgerufen: 14.03. 2011)
9 Seite „Diskussion:Türkengefahr“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 6. April 2011, 12:49 UTC. URL: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Diskussion:T%C3%BCrkengefahr&oldid=87368014 (abgerufen: 8. April 2011)
10 Schiebe, August: Universal-Lexikon der Handelswissenschaften / Hrsg. von A. Schiebe. 3. Band, Leipzig, Zwickau 1839, URL: http://books.google.de/books?id=Xfk_AAAAcAAJ&pg=PA334 (abgerufen: 8. April 2011), S. 334
11 Weber, Stefan: Neues aus dem Museum für Islamische Kunst in Berlin: Erstes Halbjahr 2010. URL: http://freunde-islamische-kunst-pergamonmuseum.de/app/download/3604066402/Museumsbrief+1-2010.pdf (abgerufen: 18. August 2010, 07:08 UTC), S. 3f.
12 vgl. Buckland, Michael: Emanuel Goldberg and his knowledge machine. Westport, Conn. [u.a.] 2006, S. 254f.
Als im Frühjahr 2010 die „Türckische Cammer“ glanzvoll der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, hatte der Autor die Gelegenheit zu einer Vorbesichtigung, an der Museumskolleginnen und -kollegen aus dem In- und Ausland teilnahmen. Dabei kam es zu einem kurzen Meinungsaustausch mit einem weltweit angesehenen, ehemals leitenden Museumswissenschaftler aus Berlin, der sein Unverständnis für die seiner Ansicht nach überholte Form der Ausstellung deutlich zum Ausdruck brachte. Für einen Moment hätte hier das Wortspiel von Sachsens Glanz und Preußens Gloria aufblitzen können, denn während Dresden im ehemaligen Residenzschloß die Wiedereinrichtung einer historischen Sammlung feiern durfte, waren in Berlin die staatlichen Museen preußischen Kulturbesitzes Anfang der neunziger Jahre zunächst mit drei Standorten inhaltlich neu gruppiert worden: die archäologischen Museen auf der Museumsinsel, Museen europäischer Kunst auf dem Kulturforum im Tiergarten und die Museen außereuropäischer Kunst in Dahlem. Wenn in den folgenden Jahren auch historische Gebäude wie die Alte Nationalgalerie, das Bode-Museum oder das Neue Museum in unterschiedlicher Art und Weise wiederhergestellt wurden, so zeigen die öffentlichen Auseinandersetzungen um denkmalpflegerische Aspekte doch sehr deutlich, daß dabei in Berlin viele neue Wege beschritten werden.
Die thematisch mit der Türckischen Cammer am engsten verwandte Sammlung islamischer Kunst im Berliner Pergamonmuseum wird im Rahmen der Generalsanierung dieses Hauses ihren angestammten Platz in der Nachbarschaft des Vorderasiatischen Museums verlassen und im nördlichen Flügel zukünftig zwei Geschosse einnehmen. Das traditionelle Konzept von Walter Andrae, die Entwicklung des vorderasiatisch-iranischen Raumes von den Anfängen bis in die islamische Zeit zu zeigen, gibt man für die umfassendere Darstellung der Kulturen Ägyptens, Vorderasiens, der klassischen Antike Griechenland und Roms sowie der islamischen Kunst- und Kulturgeschichte im neugestalteten Pergamonmuseum auf. Das Humboldt-Forum an der Stätte des ehemaligen Berliner Stadtschlosses wird diesen Museumskomplex vervollständigen, so daß gemeinsam mit der in enger Nachbarschaft befindlichen Museumsinsel eine Art Universalmuseum der Kulturgeschichte erwartet werden darf.
Doch ist diese Gegenüberstellung sinnvoll? Lassen sich hier wirklich historisierender Rückgriff auf der sächsischen Seite und globalisierende Modernität in der nachpreußischen Sphäre identifizieren?
Obwohl das Sammeln und Aufbewahren von Dingen, die nicht zum täglich Lebensnotwendigen zählen, auch in früheren Epochen nachgewiesen werden kann, darf man wohl behaupten, daß Museen in ihrer heutigen Gestalt eine Erscheinung der Neuzeit sind. Fürstliche Sammlungen wie die der Kurfürsten und Könige Sachsens gehören zu den Keimzellen der großen staatlichen Museen Europas. Aus moderner Sicht unterscheiden sich diese Landesherren deutlich vom Typus des bürgerlichen Privatsammlers, da ihre Sammlungen immer schon eine gewisse Öffentlichkeit besaßen. Die Verwendung der Waffen und Kostüme aus der Türckischen Cammer für Aufzüge, Feste, Turniere oder Opernaufführungen1 legen hiervon beredtes Zeugnis ab. Mag die absolutistische Staatsauffassung heute dem Selbstverständnis der europäischen Demokratien widersprechen, so scheint sie doch ideelle Quelle der Finanzierung wichtiger kultureller Grundbedürfnisse aus öffentlichen Haushalten zu sein. Der Blick über den Atlantik auf die Vereinigten Staaten von Amerika ist geeignet, dies zu bestätigen. Im Gegensatz zum alten Europa wurde und wird in der Neuen Welt davon ausgegangen, daß die Finanzierung von Kunst und Kultur eben keine Staatsaufgabe sei, sondern überwiegend aus privaten Quellen zu leisten ist. Diese unterschiedlichen Auffassungen sollten allerdings nicht zu voreiligen Schlüssen verführen, jeweils das eine oder das andere Finanzierungssystem als das bessere anzusehen. Während private Stiftungen in Zeiten wirtschaftlicher Prosperität weitaus mehr Mittel für spektakuläre Ausstellungen und Ankäufe mobilisieren können, sichert die langfristige Finanzierung aus öffentlichen Quellen die Erhaltung großer Bestände an Sammlungsobjekten und ihre Erforschung.
Doch auch in Europa sind es nicht die öffentlichen Museen allein, die zur Erhaltung von Kulturgut beitragen. Die manchmal abenteuerlichen Entstehungsgeschichten von Sammlungen des 19. Jahrhunderts, die böswillige Zungen knapp als „Stehlen, Sammeln, Stiften“ zusammenfassen könnten, haben den Ruf der Privatsammler zwar manchmal beeinträchtigt. Die herausragenden Beispiele von Sammlerpersönlichkeiten, deren Lebenswerk früher oder später ebenfalls in den Dienst der Öffentlichkeit gestellt wurde, lassen dagegen erkennen, daß eine fruchtbare Zusammenarbeit möglich ist. Vor allem Intention und Methode unterscheiden den privaten Sammler von einem öffentlichen Museum. Unabhängigkeit in der Auswahl der einzelnen Objekte und der Konzeption der Sammlung lassen soziale und kulturelle Rahmenbedingungen durch die Person des Sammlers anders zur Geltung kommen, als dies bei den Organisationsstrukturen eines Museums der Fall ist.
Die Kustoden finden am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn bereits eine Museumssammlung vor, mit der sie in den folgenden Jahren gewissermaßen einen Dialog führen werden. Genauer betrachtet setzen sie sich mit ihren Vorgängerinnen und Vorgängern auseinander, die ihre Spuren in der Sammlung und ihrer Dokumentation hinterlassen haben. Dies unterscheidet die Forschung an Museen auch von der wissenschaftlichen Tätigkeit an Universitäten und anderen Forschungseinrichtungen. Während dort Forschung und Lehre eher abstrakteren Vorgaben, persönlichen Interessen oder dem Rhythmus auszubildender Studentengenerationen folgen, sieht sich der Wissenschaftler an einem Museum immer auch mit den konkreten Gegenständen seiner Forschung und ihrer Geschichte konfrontiert.
Dagegen widmen sich private Sammler meist dem Aufbau einer völlig neuen Kollektion, die keine anderen Voraussetzungen als seine eigenen Vorstellungen, Wünsche und finanziellen Möglichkeiten selbst hat.2 Viele Privatsammlungen lassen sich daher als Spiegelbild der Sammlerpersönlichkeit lesen und erlauben Rückschlüsse auf die Beziehungen zu seiner sozialen und kulturellen Umwelt.
In diesem Sinne ist die Türckische Cammer auf doppelte Weise reizvoll. Obwohl sie als Fürstensammlung von Beginn an einen gewissen staatlichen, also auch öffentlichen Charakter hatte, spiegeln sich in ihr die Intentionen und Möglichkeiten der verschiedenen Herrscherpersönlichkeiten ebenso wie ihre Grenzen. Gleichzeitig läßt sich mit ihrem Wachsen verfolgen, wie die bereits bestehenden Sammlungen genutzt und erweitert wurden. Die Türkenmode des 18. Jahrhunderts wird in diesem Zusammenhang als kulturelles Phänomen erfaßbar und kann Besuchern der Ausstellung wie Lesern des Katalogs3 eindrucksvoll vermittelt werden.
Untrennbar mit dem Sammeln der Objekte verbunden ist das möglichst umfassende Bewahren ihrer vielfältigen historischen Bezüge, denn erst die Vielfalt der kulturellen, politischen und sozialen Zusammenhänge ermöglicht die Beantwortung spezifischer Fragen aus heutiger Sicht. Internationale Projekte wie die Rekonstruktion der Sammlung Giustiniani4 zeigen die Aktualität und die Wichtigkeit dieses Anliegens ebenso wie die Anstrengungen zur Erhaltung historischer Sammlungen in ihrer Gesamtheit. Die Bedeutung von Domschatzkammern, der Weltlichen Schatzkammer in der Wiener Hofburg oder der Sammlungen des Vatikan – um nur einige Beispiele zu nennen – ergibt sich in besonderer Weise eben auch aus der Einbindung in die lange Geschichte ihrer institutionellen Träger.
Wenn auch für die besonders prachtvollen Stücke der Türckischen Cammer häufig die ästhetische Betrachtung im Vordergrund stehen mag, wird der kulturhistorische Wert demgegenüber nicht vernachlässigt. Gerade die Einbindung der Sammlung in das historische Residenzschloß verdeutlicht die enge politische und soziale Bindung an Hof und Armee und erweitert damit die kulturelle und geschichtliche Perspektive. Die Fülle der dadurch zur Verfügung stehenden Informationen gewinnt gerade in jüngster Zeit erneut an Bedeutung, denn mit den Möglichkeiten der weltweiten Vernetzung läßt sich der Kontext jedes Sammlungsobjekts auf neue Weise beschreiben und darstellen.5
Im Unterschied zur ursprünglichen Türckischen Cammer der sächsischen Kurfürsten und Könige gehören heute Forschen und Dokumentieren zu den unerläßlichen Grundlagen der musealen Sphäre. Der Charakter einer ständigen Ausstellung ist häufig verknüpft mit der landläufigen Vorstellung von einer Unveränderlichkeit, die der kontinuierlichen Bearbeitung der Bestände und dem daraus erwachsenden Erkenntnisgewinn nicht gerecht wird. So konnte die Forschungsarbeit zur Wiedereinrichtung der Türckischen Cammer zwar auf den seit 1595 beziehungsweise 1606 geführten Inventaren6 und Ergebnissen der Archivforschung ebenso aufbauen wie auf den Publikationen zur Kunst- und Kulturgeschichte, doch ist damit keineswegs ein abschließender Zustand erreicht. Gerade die islamische Kunstgeschichte hat im Vergleich zu anderen kunsthistorischen Disziplinen eine kürzere Geschichte, deren Beginn oft mit der Münchener Ausstellung „Meisterwerke muhammedanischer Kunst“ 1910 in Beziehung gesetzt wird. Dies bringt eine größere Dynamik und Flexibilität in der Auswahl der Forschungsinhalte und der methodischen Ansätze mit sich, die auch die Berührungen mit anderen geisteswissenschaftlichen Fächern beeinflußt. Hinzu kommt die Entwicklung moderner naturwissenschaftlicher Analyseverfahren, die neue Untersuchungen der Sammlungsobjekte ermöglichen. Selbst politische Veränderungen können sich auf die Forschungen auswirken, die mit der Türckischen Cammer verbunden sind. Es darf erwartet werden, daß die weitere Gestaltung von Wissenschaftsbeziehungen in der Europäischen Union Untersuchungen zu den historischen Zusammenhängen der sächsischen und der polnischen Geschichte ebenso befördern wird wie solche zu den Beziehungen zwischen Mitteleuropa und dem Orient. Auch für die Zugänglichkeit der Forschungsergebnisse ergeben sich in naher Zukunft durch Projekte wie die Europeana7 neue Perspektiven, so daß es nicht nur den Besuchern der Türckischen Cammer möglich sein wird, sich über die in der Ausstellung vermittelten geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge zu informieren.
Um die anfangs gestellte Frage nach der Modernität der Ausstellung und der Vermittlung zu beantworten, müssen wir nach Dresden zurückkehren, wo die Türckische Cammer in der historischen Umgebung des Residenzschlosses nach Zerstörung und Wiederaufbau nicht nur als Rückkehr zu einem früheren Zustand verstanden werden sollte. Nach der Definition des „Übereinkommens zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes“ der UNESCO von 20038 ist das Konzept einer Sammlung zwar strenggenommen kein immaterielles Kulturerbe, doch die historisch gewachsene Idee der Türckischen Cammer von der Fürstensammlung zur Forschungsstätte ist zweifellos bewahrenswert und wird sich weiter entwickeln. Vielleicht kann sie mit ihrer bloßen Existenz schon dazu beitragen, daß man sich in aktuellen Diskussionen an die Vielfalt der kulturellen Beziehungen im Laufe der Geschichte erinnert. Wie schwierig dies manchmal ist, zeigt zum Beispiel eine Diskussion zum Begriff der „Türkengefahr“,9 bei der völlig außer acht gelassen wurde, daß es sich zeitweise auch um einen terminus technicus des Versicherungswesens handelte,10 mit dem jahrhundertelange kriegerische Nachbarschaft ihre Spuren hinterlassen hatte.
Die neue Konzeption für die Ausstellung des Museums für Islamische Kunst in Berlin, nach der neben einer vereinfachten chronologischen Ordnung geographische Bezüge, Verknüpfungen zu verschiedenen Lebensräumen und thematische Schwerpunkte als zusätzliche Orientierungsebenen dienen werden,11 folgt in der Darstellung von kulturgeschichtlichen Zusammenhängen einem durchaus ähnlichen Prinzip, denn auch hier wird die traditionelle kunstgeschichtliche Präsentation wesentlich erweitert. Die Modernität beider Ausstellungskonzepte ist auch darin zu sehen, daß sie Fragen an die Geschichte aus unterschiedlichen Perspektiven aufgreifen, die in jeder Generation immer wieder von neuem gestellt werden und damit Geschehenes, die Geschichten darüber und das gelebte kulturelle Erbe zueinander in Beziehung setzen.12
Anmerkungen
1 Schuckelt, Holger: Die Türckische Cammer: Sammlung orientalischer Kunst in der kurfürstlich-sächsischen Rüstkammer Dresden. Dresden 2010, S. 228, 325
2 vgl. Tunsch, Thomas: Der Sammler Herbert M. Gutmann (1879 1942). In: Islamische Kunst in Berliner Sammlungen: 100 Jahre Museum für Islamische Kunst in Berlin / Hrsg. von Jens Kröger unter Mitarbeit von Désirée Heiden, Berlin 2004, S. 27-30
3 Schuckelt, Holger: Die Türckische Cammer: Sammlung orientalischer Kunst in der kurfürstlich-sächsischen Rüstkammer Dresden. Dresden 2010
4 Projekt GIOVE (The Giustiniani Collection in a virtual environment, URL: http://web.fu-berlin.de/giove, abgerufen: 20.01.2012); einen guten Überblick für interessierte Leser bietet auch der Wikipedia-Artikel „Sammlung Giustiniani“. Seite „Sammlung Giustiniani“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 31. August 2011, 13:58 UTC. URL: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Sammlung_Giustiniani&oldid=93096098 (abgerufen: 31. August 2011)
5 vgl. Buckland, Michael: Geography, Time, and the Representation of Cultural Change: Experience from a Large Collaboration: The Electronic Cultural Atlas Initiative. In: Wissen durch Vernetzung – Kulturgutdigitalisierung in Deutschland und Europa Tagungsband – Berlin 2007 / Knowledge by Networking – Digitising Culture in Germany and Europe Conference Proceedings – Berlin 2007, Mitteilungen und Berichte aus dem Institut für Museumsforschung; 46, Berlin: Inst. f. Museumsforschung, Staatl. Museen zu Berlin, 2008, S. 109-114, abgerufen von http://www.smb.museum/ifm/dokumente/mitteilungen/MIT046.pdf, S. 110
6 Schuckelt, Holger: Die Türckische Cammer: Sammlung orientalischer Kunst in der kurfürstlich-sächsischen Rüstkammer Dresden. Dresden 2010, S. 11f.
7 Portal für das europäische Kulturerbe (URL: http://www.europeana.eu/, abgerufen: 20.01.2012)
8 „Konvention zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes - Deutsche UNESCO-Kommission.“ 2003, URL: http://www.unesco.de/ike-konvention.html (abgerufen: 14.03. 2011)
9 Seite „Diskussion:Türkengefahr“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 6. April 2011, 12:49 UTC. URL: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Diskussion:T%C3%BCrkengefahr&oldid=87368014 (abgerufen: 8. April 2011)
10 Schiebe, August: Universal-Lexikon der Handelswissenschaften / Hrsg. von A. Schiebe. 3. Band, Leipzig, Zwickau 1839, URL: http://books.google.de/books?id=Xfk_AAAAcAAJ&pg=PA334 (abgerufen: 8. April 2011), S. 334
11 Weber, Stefan: Neues aus dem Museum für Islamische Kunst in Berlin: Erstes Halbjahr 2010. URL: http://freunde-islamische-kunst-pergamonmuseum.de/app/download/3604066402/Museumsbrief+1-2010.pdf (abgerufen: 18. August 2010, 07:08 UTC), S. 3f.
12 vgl. Buckland, Michael: Emanuel Goldberg and his knowledge machine. Westport, Conn. [u.a.] 2006, S. 254f.
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