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Sunday, April 6, 2025

Trauminseln und Inselträume (3)

Hawaiʻi und Berlin

Inselparadies Pfaueninsel

Johann Gottfried Schadow (1764–1850): „Harry von den Sandwich-Inseln, en face und im Profil nach links“
Johann Gottfried Schadow (1764–1850): „Harry von den Sandwich-Inseln, en face und im Profil nach links“

Am 18. Oktober 1824 berichtete die „Königlich Privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen“ unter der Überschrift „Wissenschaftliche und Kunst-Nachrichten“ über die Reise des preußischen Seehandlungsschiffes „Mentor“:  

Auch für ein ethnographisches Museum, deren Errichtung wir immer noch entgegensehen, ist so manches Merkwürdige mitgekommen; wir bemerkten nur ein leichtes Tanzkleid der Chilesen von Bärengedärm, Zeug von Baumrinden von den Sandwichs-Inseln, Trinkgefäße aus Kürbissen, Fächer aus Pfauenfedern, Helme aus Binsen, Waffen, Angeln und Hausgeräthe verschiedener Art.

Besonderes Interesse aber weckte der „Freiwillige von den Sandwichs-Inseln“, den die Mentor aus Hawaiʻi mitgebracht hatte:

Henry, so wird er gerufen, oder vielmehr: so nennt er sich, kam, als der Mentor dort anlegte, an den Bord, und bat flehentlich, daß man ihn mitnehmen möchte. Man erkundigte sich nach seinen Familien-Verhältnissen, er hatte weder Vater noch Mutter, noch sonst jemanden, der Ansprüche an ihn machte; so ging er mit nach China, und hat sich nun schon ganz an die Europäische Lebensweise gewöhnt. Henry mag ungefähr 15 bis 18 Jahr alt seyn, […] am Arm und im Gesicht ist er tattowirt. Er ist sehr gelehrig, freundlich, munter, arbeitsam. Deutsche Worte spricht er geläufig nach, wenn sie nicht zu viel Consonanten haben, besonders scheint ihm das r ganz zu fehlen.

Nur acht Tage später saß „Harry von den Sandwich-Inseln“ dem Berliner Bildhauer und Zeichner Johann Gottfried Schadow Modell für eine Zeichnung „en face und im Profil nach links“. Der Künstler beschrieb in seinem „Polyclet“ später, wie er den Porträtierten sah:

In nördlicher Richtung von dieser Insel, in der Linie zwischen Mexico und China, liegen die Sandwich-Inseln, von welchen das Schiff Mentor einen Einwohner, Namens Harry, hierher brachte, dessen Portrait, in Profil und Face, auf dieser Tafel beigebracht ist. Da derselbe unter uns geblieben, so zeigt der Augenschein einem Jeden, dass in dessen Gesichtzügen nichts Abweichendes von den unsrigen wahrzunehmen ist. Die breiten Wangenbeine finden sich auch bei uns, und, obgleich sein Schädel schmäler, wird dieser doch durch die starken und dicken Haare versteckt; was ihn einigermaassen unterscheidet, ist die dunklere Hautfarbe. Zu einer feineren Geistesbildung fand er sich nicht geeignet. Wie gross also der Unterschied zwischen der Gestaltung der Insel-Bewohner dieser grossen Wasserfläche ist, wird man hieraus ersehen.

Wer die beiden zeitgenössischen Zitate und die Zeichnung miteinander vergleicht, stößt auf ein interessantes Detail: Harry Maitey war nach dem Bericht der „Vossischen Zeitung“ im Gesicht tätowiert – doch weder zeigt die Zeichnung den Gesichtsschmuck noch erwähnt ihn die Beschreibung. Vielmehr scheint es Schadow besonders darauf anzukommen, dass in den „Gesichtzügen nichts Abweichendes von den unsrigen wahrzunehmen ist“.

Nachricht Wilhelm von Humboldts an Christian Rother am 15. April 1827
Nachricht Wilhelm von Humboldts an Christian Rother am 15. April 1827

Auch die Dokumente über den „Sandwich-Insulaner“ sind von Nüchternheit geprägt und beschreiben einen wenig exotischen Lebensweg. Zunächst wohnte Harry im Dienstgebäude der „Preußischen Seehandlung“ bei der Familie von Christian Rother, dem Präsidenten der Seehandlung, in der Jägerstraße an der Ecke zum Gendarmenmarkt. 1825 begann sein Schulunterricht im „Erziehungshaus vor dem Halleschen Tor“, in das er zwei Jahre später auch umzog. Da man mit seinen Fortschritten in der deutschen Sprache nicht zufrieden war, bat Rother den Sprachforscher Wilhelm von Humboldt, Harry Nachhilfeunterricht zu geben. Erhalten ist die Nachricht, mit der Humboldt am 15. April 1827 zusagte: 

 Wollten mir Ew. Hochwohlgeboren heute Nachmittag um 6. Uhr Ihren Harry schicken, so möchte ich meine Künste mit ihm versuchen. Gienge es heute nicht, so bitte ich um ihn um die gleiche Stunde nächsten Dienstag. Mit meinen besten Wünschen zur Reise u. der herzlichsten u. hochachtungsvollsten Freundschaft der Ihrige,
Humboldt

Allerdings bekam Maitey keine Nachhilfe im Deutschen, sondern wurde nach Wörtern der hawaiischen Sprache gefragt. So entstand das „Sandwich-Wörterverzeichnis“, das Humboldt 1828 in der Berliner Akademie der Wissenschaften vorstellte. Später nannte er in seinen Studien zu den malayo-polynesischen Sprachen „Harres Maitai“ als seine wichtigste Quelle für das Hawaiische.

Neue Kirche und Königliches Schauspielhaus 1833
Neue Kirche und Königliches Schauspielhaus 1833

Das Jahr 1830 brachte für den jungen Harry zwei wichtige Ereignisse. Am 30. April wurde er in der Neuen Kirche am Gendarmenmarkt getauft und konfirmiert. Obwohl sich König Friedrich Wilhelm III. dagegen ausgesprochen hatte, erhielt er mit der Taufe die deutschen Vornamen Heinrich und Wilhelm. Gleichzeitig wurde auf dem Taufschein der 30. April 1807 als sein Geburtsdatum festgelegt. Im August wurde Maitey in den königlichen Haushalt übernommen, gleichzeitig wies man ihn als Assistenten dem Maschinenmeister auf der Pfaueninsel zu.

Mit dieser Insel werden Bilder wie „preußisches Paradies“ oder „preußisches Arkadien“ verbunden, da sie Friedrich Wilhelm III. mit verschiedenen Gartenanlagen ausstatten und dort exotische Tiere versammeln ließ. Deshalb wird gelegentlich angenommen, dass der „Sandwich-Insulaner“ für das Inselparadies ebenfalls als „Exot“ bereichern sollte. Dabei wird übersehen, dass Maitey nur wegen einer nicht bestandenen Prüfung nicht in den Hofdienst kam. Nun also wurde er – ganz unparadiesisch – vom Maschinenmeister Friedrich als Drechsler, Schlosser und Tischler ausgebildet. 

Nach der Heirat mit Dorothea Charlotte Becker, der Tochter des Tierwärters, im Jahre 1833 wurde die Pfaueninsel vom Lebens- zum Arbeitsort, denn das junge Paar zog nach Klein-Glienicke. Ob es nur am längeren Arbeitsweg lag, dass Maitey immer öfter nicht auf der Insel erschien, ist unbekannt. Es führte jedenfalls zu Spannungen mit Friedrich, der sich schließlich offiziell beschwerte. Daraufhin wurde Maitey dem königlichen Hofgärtner Fintelmann zugeordnet.

Brustbild (um 1850) im Brandenburg-Preußischen Hausarchiv
Brustbild (um 1850) im Brandenburg-Preußischen Hausarchiv

Für die weniger als 40 Jahre von der Heirat bis zu seinem Tode 1872 werden die offiziellen Quellen über Maitey immer spärlicher. Als „Sandwich-Insulaner des Königs“ wurde er vom Königshaus bezahlt, bot aber wohl keinen Anlass für eine größere Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. Der Kontrast zu den „Wissenschaftlichen und Kunst-Nachrichten“ der „Vossischen Zeitung“ nach der Ankunft des tätowierten Jugendlichen in Berlin, den Schadow porträtierte und der Wilhelm von Humboldt hawaiisches Sprachmaterial lieferte, ist deutlich erkennbar. Doch vielleicht zeigt das nur, dass Harry Maitey, dem die „Vossische“ 1824 bescheinigt hatte, er habe sich „schon ganz an die Europäische Lebensweise gewöhnt“, auf dem Inselparadies Pfaueninsel und in Klein-Glienicke einfach ein ganz und gar normales Leben führte?


(Fortsetzung folgt)

Teil 1: Reisen zu den Inseln der Träume
Teil 2: Trauminseln der Südsee und preußische Handelsträume


Abbildungsnachweis

Quellen

Historische Quellen

  • Heinrich Wilhelm Maitey. Brandenburg-Preußisches Hausarchiv, Geheimes Staatsarchiv PK, IX. HA, SPAE, VII, Nr. 3055
  • Schadow, Johann Gottfried. „Harry von den Sandwich-Inseln, en face und im Profil nach links“. Werkverzeichnis 1334, Archiv der Akademie der Künste, Berlin, https://archiv.adk.de/objekt/2787631
  • Schadow, Johann Gottfried. „Polyclet oder von den Maaßen des Menschen nach dem Geschlechte und Alter : mit Angabe der wirklichen Naturgröße. 2. National-Physionomie oder Beobachtungen über die Unterschiede der Gesichtszüge ...“ Band 2. Berlin: Sachsa, 1835. https://www.digitale-sammlungen.de/de/details/bsb10872994, S. 26f.
  • Wilhelm von Humboldt an Christian von Rother, 15.04.1827. In: Wilhelm von Humboldt: Online-Edition der Sprachwissenschaftlichen Korrespondenz. Berlin. Version vom 15.03.2023. URL: https://wvh-briefe.bbaw.de/1070
  • „Wissenschaftliche und Kunst-Nachrichten“. In: Königlich Privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen, im Verlage Vossischer Erben, vom Montag, dem 18. Oktober 1824, 245stes Stück. https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Vossische_Zeitung_1824_10_18_Nr_245.pdf, S. 6f.

Sonstige

  • Moore, Anneliese W. „Harry Maitey: From Polynesia to Prussia“. In: Hawaiian Journal of History 11 (1977): 125–161.

Erstveröffentlichung: „No ka hoʻomanaʻo ana ia Berlin“

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