Erstveröffentlichung: No ka hoʻomanaʻo ana ia Berlin (6. August 2014)
Wir haben für unsere Gruppe den Namen „No ka hoʻomanaʻo ana ia Berlin“ gewählt, als wir uns mit einem Programm zu Ehren des 125. Jahrestages des Besuchs von König Kalākaua in Berlin beschäftigten. Diese Worte stehen auf dem Schellenbaum, den Kaiser Wilhelm I. dem hawaiischen Monarchen schenkte.
Es ist eines der wesentlichen Merkmale der hawaiischen Sprache, daß viele Wörter mehrere Bedeutungen haben. Auch im Hula spielt dies eine wichtige Rolle. Deshalb ist die Wahl dieses Namens sicher nicht der einzige Grund, warum er zu unserer Gruppe paßt. Wir haben uns in Berlin gefunden, also in der Stadt, die in dieser Inschrift erwähnt wird. Der Text lautet übersetzt: zur Erinnerung an Berlin. Im Wort hoʻomanaʻo, das hier für Erinnerung steht, steckt das Wort manaʻo. Es bezeichnet allgemein das Denken, Gedanken und andere Tätigkeiten, die mit unserem Denken und unserem Bewußtsein verbunden sind. Wir wissen leider nicht, wie es zur Auswahl dieser Inschrift auf dem Geschenk für König Kalākaua kam. Es ist aber seltsam, daß dieser kurze Text so gut zur Charakterisierung der Polynesier paßt, die die hawaiische Historikerin Lilikalā Kameʻeleihiwa so formulierte:„the Hawaiian stands firmly in the present, with his back to the future, and his eyes fixed upon the past, seeking historical answers for present day dilemmas.“
Lilikalā Kameʻeleihiwa: Land and the Promise of Capitalism. Ph.D. dissertation, History Department, University of Hawaii, 1986, p. 28-29
Jeder, der sich etwas genauer mit dem Hula und seiner Geschichte befaßt hat, weiß um die große historische Bedeutung dieses Tanzes für die Kultur Hawaiis und welche Rolle das Erinnern beim Lernen der einzelnen Tänze spielt. Darüber hinaus ist es wichtig, sich nicht nur an die einzelnen Schritte oder Figuren zu erinnern, sondern auch daran zu denken, was mit dem Text und seiner Sprache, den Gedanken und den Gefühlen in einem Lied verbunden ist.
Wenn wir einen Namen gewählt haben, der mit König Kalākaua verbunden ist, so steckt auch darin eine besondere Bedeutung. Dieser König hat den Hula vor dem Vergessen gerettet und deshalb heißt es noch heute mit den Worten Kalākauas:
Wenn wir hier in Berlin Hula tanzen, machen wir den Herzschlag des hawaiischen Volkes weitab von den Inseln im Pazifik hörbar. Diese Entfernung zu überbrücken, ist eine große Herausforderung. Es stellt uns vor die Aufgabe, immer wieder darüber nachzudenken oder uns daran zu erinnern, daß wir weit entfernt sind von den Quellen dieser Kultur und daß wir deshalb besonders darauf achten sollten, wie wir hier mit dem kostbaren Kulturgut der Hawaiier umgehen. Wir können dies direkt tun, indem wir uns immer wieder an dem orientieren, was uns an Quellen zur Verfügung steht. Einer Anregung von Roselle Bailey folgend können wir aber auch besonders darauf achten, wie wir mit unseren eigenen Traditionen, unserer Sprache und Kultur verfahren.„Hula is the language of the heart and therefore the heartbeat of the Hawaiian people.“
Immer wieder, wenn wir vor Publikum tanzen, machen wir die Erfahrung, daß das Wissen über Hawaii und seine Kultur oft sehr lückenhaft ist und meist aus den wohlbekannten Klischees besteht, die mit tropischen Inseln, Südseeromantik und schwingenden Hüften beschrieben werden können. Unsere Genauigkeit beim Tanzen und die ständige Orientierung an unseren Lehrern und Quellen ist eine Möglichkeit, darüber hinaus möglichst authentische Eindrücke von der Kultur Hawaiis zu vermitteln. Doch auch auf anderen Wegen informieren wir über das, was wir bei der Beschäftigung mit Hula gelernt haben.
Als König Kalākaua 1881 Berlin besuchte, gab es in den preußischen Archiven schon seit langem die „Acta des Königl. Civil-Kabinets, 1tr. Abthl. betr. das Königreich Hawaii“, die später umbenannt wurden in „Acta des Königl. Civil-Kabinets, 1tr. Abthl. betr. die Hawaiischen Inseln“. Ja wir können noch weiter in die Geschichte zurückgehen und werden feststellen, daß bereits auf den Schiffen, mit denen Kapitän Cook Hawaii erreichte, Deutsche zum ersten Mal die Inseln im Pazifik betraten. So veröffentlichte z.B. Heinrich Zimmermann 1781 seinen Bericht über die Reise mit Cook, auf der dieser in der Bucht von Kealakekua ums Leben gekommen war.Die Beziehungen zwischen Deutschland und Hawaii haben also eine lange Tradition. Wenn wir die Quellen lesen, die über diese Beziehungen berichten, ist immer von Hawaii, der hawaiischen Sprache (Adelbert von Chamisso: Über die Hawaiische Sprache. Berlin 1837), den hawaiischen Inseln und den Hawaiiern die Rede. Erst seit historisch kurzer Zeit tauchen in Texten die Wörter „hawa(i)ianisch“ und „Hawa(i)ianer“ auf. Mit großer Wahrscheinlichkeit geht diese Entwicklung auf eine Übernahme der Buchstaben „an“ vom englischen „hawaiian“ zurück.
Die Schlußfolgerung, die aus den vorangegangenen Betrachtungen über das Erinnern, die Tradition, die Sprache und die Bedeutung aller dieser Elemente der Kultur gezogen werden kann, liegt nahe. Wenn es lange und traditionsreiche Beziehungen zwischen Hawaii und Deutschland, den beiden Völkern, ihren Kulturen und ihren Sprachen gibt, dann können wir uns und unser Publikum auch daran erinnern. Es wird auffallen, wenn im Gegensatz zu anderen Veröffentlichungen unsere Gruppe vom hawaiischen Hula erzählt und die Tänze der Hawaiier tanzt. Wer interessiert ist, wird fragen, warum wir diese Worte verwenden. Eine mögliche Antwort könnte sein, daß wir von den Hawaiiern und ihrer Kultur gelernt haben, die Worte, die Traditionen und was sie uns über unsere Geschichte erzählen, zu schätzen und sie zu erhalten. Wir können auch sagen, daß der Name unserer Gruppe an König Kalākaua und seinen Besuch in Berlin erinnern soll und daß wir uns ebenso daran erinnern, daß man seit dem 18. Jahrhundert in Deutschland die hawaiischen Inseln, die hawaiische Sprache und die Hawaiier kennt. Damit verdeutlichen wir gleichzeitig, daß wir nicht nur mit unseren Tänzen die Geschichten von fernen Inseln und aus vergangenen Zeiten erzählen, sondern daß Hula eine lebendige Überlieferung ist, die auch uns auf der anderen Seite der Erdkugel etwas zu sagen hat und daß wir, wenn wir Hula tanzen, gleichzeitig von den Hawaiiern lernen können. Und manchmal lernen wir dabei nur etwas, was andere schon lange vor uns erkannt hatten:
„Die Leute blicken immer so verächtlich auf vergangene Zeiten, weil die dies und jenes „noch“ nicht besaßen, was wir heute besitzen. Aber dabei setzen sie stillschweigend voraus, daß die neuere Epoche alles das habe, was man früher gehabt hat, plus dem Neuen. Das ist ein Denkfehler. Es ist nicht nur vieles hinzugekommen. Es ist auch vieles verlorengegangen, im guten und bösen. Die von damals hatten vieles noch nicht. Aber wir haben vieles nicht mehr.“
Kurt Tucholsky, Weltbühne (1932)
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