Trauminseln der Südsee und preußische Handelsträume
Die Kunde von den Trauminseln der Südsee hatte den deutschsprachigen Raum schon im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts durch Georg Forster oder Heinrich Zimmermann erreicht. Der Naturforscher und Dichter Adelbert von Chamisso kam während der Rurik-Expedition unter dem Kommando Ottos von Kotzebue im November 1816 und im September 1817 auch nach Hawaiʻi. Noch bevor 1821 seine „Bemerkungen und Ansichten auf einer Entdeckungs-Reise“ in Weimar gedruckt wurden, hatten sich seine Beobachtungen schon in Berlin verbreitet und so veröffentlichte sein Freund E. T. A. Hoffmann 1819 in Berlin mit seiner Briefnovelle „Haimatochare“ das erste europäische Prosastück, das auf der hawaiischen Insel Oʻahu spielt. Hawaiʻi war also nicht nur keine Terra incognita mehr, sondern schon ein literarischer Schauplatz, als sich die „Mentor“ im Dezember 1822 in Bremen auf den Weg machte.
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König Kamehameha I. von Hawaiʻi |
Mit dem ausgehenden „Zeitalter der Entdeckungen“ waren die großen Handelswege schon auf die Ozeane verschoben, als sich Preußen anschickte, mit seiner ersten Weltumsegelung neue Märkte zu erschließen. Während die „Ostindischen“ und „Westindischen“ Kompanien europäischer Länder schon seit längerem weitgespannte Handelsverbindungen aufgebaut hatten, war im aufstrebenden Preußen erst unter König Friedrich II. die „Königlich Preußische Asiatische Compagnie in Emden nach Canton und China“ gegründet worden. Mit deren Schiffen gelangten nicht nur Tee und Gewürze ins Land, sondern auch Luxusgüter wie Porzellan und Seide. Allerdings begann mit dem Siebenjährigen Krieg (1756-1763) der Niedergang der Kompanie, so dass sie schließlich 1765 aufgelöst wurde.
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Siegelmarke der General-Direction der Königlichen Seehandlungs-Societät |
Nur sieben Jahre später wurde die „Generaldirektion der Seehandlungs-Sozietät“ in Berlin gegründet, die – auch durch die napoleonischen Kriege – zunächst allerdings nicht besonders erfolgreich war. Das änderte sich mit dem Wandel zu einem selbständigen Geld- und Handelsinstitut unter staatlicher Aufsicht. Als Chef prägte dann ab 1820 vor allem Christian Rother die Unternehmungen der Seehandlung, zu denen auch die erste preußische Weltumsegelung der „Mentor“ gehörte. Bei der Abfahrt in Bremen war die Handelsfregatte allerdings noch nicht in preußischem Besitz, doch der für die Fracht zuständige Berliner Kaufmann Wilhelm Oswald überwachte als Supercargo die Handelsunternehmung von Anfang an.
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Das Königl. Preuß. Seeschiff Mentor das Cap Horn umsegelnd |
Wie bereits die preußischen Schiffe der Emder Ostasiatischen Handelskompanie sollte auch die „Mentor“ im chinesischen Kanton anlegen – diesmal jedoch aus östlicher Richtung kommend. Nach der Umsegelung des Kap Hoorn sowie Aufenthalten in den chilenischen Häfen Valparaíso und Coquimbo traf das Schiff am 28. November 1823 im Hafen von Honolulu auf der Insel Oʻahu im Königreich Hawaiʻi ein. Am Tage zuvor hatten König Liholiho und Königin Kamāmalu begleitet von Boki, dem Gouverneur von Oʻahu, dessen Frau Kuini Liliha sowie weiteren Begleitern an Bord des britischen Walfängers „L’Aigle“ Hawaiʻi in Richtung London verlassen, obwohl „große Aufregung unter den Häuptlingen über die Reise des Königs nach England“ herrschte, wie Stephen Reynolds schon am 8. November in seinem Tagebuch vermerkt hatte. Wilhelm Oswald beobachtete gleich nach der Ankunft der „Mentor“, dass durch „den Tod eines Chiefs, der am Morgen begraben war, ... alle Anwesenden in tiefe Trauer versetzt“ seien.
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Mahiole |
Ob diese politischen Ereignisse etwas damit zu tun hatten, dass ein junger Hawaiier, der sich als „Harry“ vorstellte, von der „Mentor“ mitgenommen werden wollte, ist nicht bekannt. Als das Schiff am 3. Dezember Honolulu in Richtung Kanton wieder verließ, sah er seine Heimat Hawaiʻi zum letzten Mal in seinem Leben. Mit ihm waren auch einige Gegenstände an Bord, die man während des kurzen Aufenthaltes erworben hatte, darunter befand sich auch ein geflochtener Helm (mahiole), der heute im Humboldt Forum in Berlin ausgestellt ist. Die Deutschen nannten Harry auch „Maitey“ und dieser auf das hawaiische „maitaʻi“ zurückgehende Name wurde später in Preußen sein Familienname. Da Harry Maitey in den Quellen immer als freundlich und sanftmütig beschrieben wird, passen die Bedeutungen „gut, fein, in Ordnung“ von „maitaʻi“ wohl zu seinem Charakter.
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König Liholiho und Königin Kamāmalu im Theater in London |
Welche Träume von der Zukunft in einem fernen Land mit Harry Maitey nach Kanton und weiter über Java und St. Helena in Richtung Europa segelten, weiß niemand. Als die „Mentor“ den Ärmelkanal durchfuhr, bereitete sich zur gleichen Zeit in der Themse das Schiff zur Abfahrt vor, das die sterblichen Überreste von König Liholiho und Königin Kamāmalu nach Hawaiʻi zurückbringen sollte, die beide in London an den Masern erkrankt und verstorben waren.
Die „Mentor“ war während der Rückreise von der preußischen Seehandlung gekauft und deshalb nach Swinemünde beordert worden, wo sie am 14. September 1824 einlief. König Friedrich Wilhelm III. verfügte, dass Christian Rother, der Präsident der Seehandlung, Harry Maitey nach Berlin bringen lassen und bei sich aufnehmen solle. Der „Sandwichs-Insulaner“ hatte nun in der Jägerstraße an der Ecke zum Gendarmenmarkt seinen Wohnsitz. Was würden seine Augen in der Fremde noch alles erblicken – und mit welchen Augen würden ihn die Berliner sehen?
(Fortsetzung folgt)
Teil 1: Reisen zu den Inseln der Träume
Abbildungsnachweis
- „Tammeamea“ – Otto von Kotzebue: Entdeckungs-Reise in die Süd-See und nach der Berings-Straße zur Erforschung einer nordöstlichen Durchfahrt, Band 2, vor S. 15, Bayerische Staatsbibliothek: https://mdz-nbn-resolving.de/details:bsb10715380
- Siegelmarke der General-Direction der Königlichen Seehandlungs-Societät, Public domain, via Wikimedia Commons, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Siegelmarke_General_-_Direction_der_K%C3%B6niglichen_Seehandlungs_-_Societ%C3%A4t_-_Berlin_W0223066.jpg
- „Das Königl. Preuß. Seeschiff Mentor das Cap Horn umsegelnd“, Von Sr. Majestät acquirirt im Dec. 1843, überreicht von dem K. P. Generalkonsul Hr. Oswald, Oelgemälde im Berliner Schlosse, Public domain, via Wikimedia Commons, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Handelsfregatte_Mentor.png
- Mahiole (Helm), Staatliche Museen zu Berlin, Ethnologisches Museum / Heinz-Günther Malenz, CC BY-SA 4.0, https://recherche.smb.museum/detail/1000355/
- „Their Majesties King Rheo Rhio (Liholiho), Queen Tamehamalu (Tamāmalu), Madame Poke (Boki) of the Sandwich Islands“ by John William Gear (Ausschnitt), 1824, color lithograph, Honolulu Museum of Art accession 9990, CC0, via Wikimedia Commons, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:King_Rheo_Rhio,_Queen_Tamehamalu,_Madame_Poke_by_John_William_Gear,_color_lithograph.jpg
Quellen
Historische Quellen
- Chamisso, Adelbert von: Bemerkungen und Ansichten auf einer Entdeckungs-Reise: unternommen in den Jahren 1815-1818 auf Kosten Sr. Erlaucht des Herrn Reichs-Kanzlers Grafen Romanzoff auf dem Schiffe Rurick unter dem Befehle des Lieutenants der Russisch-Kaiserlichen Marine Otto von Kotzebue. Entdeckungsreise in die Süd-See und nach der Berings-Straße zur Erforschung einer nordöstlichen Durchfahrt / Otto von Kotzebue. Weimar: Hoffmann, 1821. https://digitale-sammlungen.de/de/details/bsb10715381.
- Judd, Bernice, und Helen Yonge Lind: Voyages to Hawaiʻi Before 1860: A Record, Based on Historical Narratives in the Libraries of the Hawaiian Mission Children’s Society and The Hawaiian Historical Society, Extended to March 1860. University of Hawai’i Press, 1974. https://manifold.uhpress.hawaii.edu/projects/voyages-to-hawai-i-before-1860.
- Oswald, Johann Carl Heinrich Wilhelm: Erlebnisse von Johann Carl Heinrich Wilhelm Oswald auf seiner ersten Reise um die Welt in den Jahren 1822 bis 1824. Hamburg: H. O. Persiehl, 1915.
- Reynolds, Stephen W., und Pauline King Joerger: Journal of Stephen Reynolds. Honolulu, Salem, Mass.: Ku Paʻa Inc. ; Peabody Museum of Salem, 1989.
Mahiole
- Sammlungen Online (Staatliche Museen zu Berlin): „Helm“. Zugegriffen 3. Februar 2023. https://recherche.smb.museum/detail/1000355/.
Sonstige
- Burmester, Heinz: Weltumseglung unter Preußens Flagge: die Königlich Preussische Seehandlung und ihre Schiffe. Hamburg: Kabel, 1988.
- Moore, Anneliese W.: „Hawaii in a Nutshell - E. T. A. Hoffmann’s Haimatochare“. Hawaiian Journal of History 12 (1978): 13–27.
- Schindlbeck, Markus: „Der Federmantel von Hawaiʻi in der Berliner Sammlung“. Baessler-Archiv 58, Nr. 2010 (2011): 139–158.
Erstveröffentlichung: „No ka hoʻomanaʻo ana ia Berlin“
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