Dies ist eine sehr begrenzte Betrachtungsweise, denn die übrigen Museumsaufgaben des Sammelns, Bewahrens, Erforschen und Vermittelns werden dabei nicht berücksichtigt. Ein verzerrtes Bild entsteht dadurch vor allem, weil einige ganz simple Voraussetzungen schlicht ausgeblendet werden:
- Das Sammeln von Museumsobjekten ist von den sozialen, kulturellen, kulturpolitischen und politischen Rahmenbedingungen geprägt, die zum jeweiligen Zeitpunkt des Zugangs zu einer Museumssammlung herrschten. Hinzu kommt in vielen Fällen eine Objektgeschichte vor diesem Zugang (z.B. bei privaten Sammlern), die wiederum solchen spezifischen Rahmenbedingungen unterlag.
- Bevor Museumsobjekte ausgestellt werden können, müssen sie nicht nur als Objekte bewahrt, sondern auch umfassend dokumentiert werden. Umfang und Qualität der Museumsdokumentation sind erheblichen Schwankungen ausgesetzt und erst seit Beginn der Digitalisierung haben nennenswerte Bestrebungen einer Standardisierung eingesetzt.
- Die Forschung zu Museumsobjekten war bis vor kurzem fast ausschließlich fachwissenschaftlich geprägt. Provenienzforschung ist demgegenüber eine sehr junge Forschungsrichtung: der erste Lehrstuhl in Deutschland wurde 2015 eingerichtet.
- Die Erweiterung der Forschung auf dem Gebiet der Provenienzen erfordert zusätzliche finanzielle Mittel, Personal und vor allem Zeit. Die in den heutigen Ausstellungen von Museen verfügbaren Informationen zu den Museumsobjekten sind nicht nur das Ergebnis langjähriger Forschungen, sondern sie müssen auch immer wieder am aktuellen Forschungsstand geprüft und ggf. aktualisiert werden – spätestens bei der Erarbeitung einer neuen Ausstellung.
- In vielen größeren Museen sind die ausgestellten Objekte ein kleiner Teil der gesamten Sammlung. Für die Konzeption einer neuen ständigen Ausstellung oder grundlegender Aktualisierungen einer bestehenden kann nicht nur der Bestand der bisher ausgestellten Objekte betrachtet werden. Vielmehr ist immer die Einbeziehung weiterer Sammlungsteile erforderlich, da sich das Sammlungsprofil (Sammeln), der Zustand von Sammlungsobjekten (Bewahren), der Forschungsstand oder Vermittlungskonzepte ständig verändern.
Detail im Aleppo-Zimmer, 1912 erworben von der Familie Wakīl, „die ihr Haus modernisieren wollte“ (vgl. SMB-digital: I. 2862) |
Bisher konzentrierte sich die Provenienzforschung vor allem auf NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kunst- und Kulturgut in öffentlichen Einrichtungen (vgl. Deutsches Zentrum für Kulturgutverluste). Die umfassende Erforschung der Herkunftsgeschichte ist eine zusätzliche Aufgabe, die – wie das erwähnte Digitalisierungsprojekt – finanzielle Mittel, Personal und Zeit erfordert, sowie die gleichzeitige Weiterführung der ständigen Aufgaben (Dokumentieren, Bewahren, Erforschen, Ausstellen und Vermitteln) voraussetzt. Das bedeutet entweder, daß die finanziellen Träger der Museen diese Rahmenbedingungen schaffen, oder daß zusätzliche Strukturen für die Einwerbung von Fremdmitteln entwickelt werden – die dann ebenfalls finanziert werden müssen.
Die umfassende und differenzierte Betrachtung der Gedächtnisorganisation Museum macht deutlich, daß einfache und schnelle Lösungen nicht zu haben sind. Das „Dossier Provenienzforschung“ vermittelt einen Eindruck von der Komplexität dieser Herausforderung. Der Beitrag „Warum dauert das denn so lange?“ zeigt am Beispiel eines Forschungskonvolutes von ca. 950 Werken aus der Sammlung der Zeichnungen den erforderlichen Aufwand für die Identifizierung von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kunst- und Kulturgut.
Dieser Aufwand ist entsprechend höher bei heterogenen Sammlungen, die ebenso archäologische Objekte aus Grabungen wie Kunstwerke aus dem Kunsthandel oder von privaten Sammlern enthalten. Soll zusätzlich zur Einzelfrage nach der Rechtmäßigkeit des direkten Erwerbs durch das Museum die wesentlich umfänglichere Objektgeschichte möglichst vollständig erforscht werden, um die anfangs erwähnten sozialen, kulturellen, kulturpolitischen und politischen Rahmenbedingungen einbeziehen zu können, lassen sich die dafür erforderlichen Anstrengungen vorher kaum abschätzen.
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